Wie Sie Ihre unbewussten Vorurteile durchschauen und was Sie dagegen tun können, um eine objektivere Mitarbeiterbeurteilung zu erzielen.
Lesedauer: ca. 10 Minuten
Sie wollen
- Ihre Beziehung zu Ihren Leuten durch eine gerechte Mitarbeiterbeurteilung langfristig stärken?
- Ihre Mitarbeiter entsprechend ihrer Stärken und Schwächen objektiver einschätzen können?
- Ihren Mitarbeitern unvoreingenommener gegenübertreten und dadurch Ihrer Führungsrolle noch gerechter werden
- unbewusste Fehler in Leistungsbeurteilungen und Personalauswahl in Zukunft vermeiden?
In diesem Artikel zeige ich Ihnen, wie Sie das schaffen. Ich sensibilisiere Sie für Ihre eigenen unbewussten Vorannahmen und Beurteilungsfehler, die sie gar nicht vermeiden können. Und ich werde Ihnen umsetzbare Tipps für die Mitarbeiterbeurteilung und die Personalauswahl an die Hand geben. So bekommen Sie Ihren unbewussten Vorannahmen unter Kontrolle und kommen zu einer fairen und objektiveren Leistungsbeurteilung Ihrer Mitarbeiter.
Jeder hat Vorurteile – auch Sie!
Neulich hatte ich diesen gelungenen Beileger des Bodenschwingh-Hauses in Hamburg im Briefkasten und ich dachte mir: „Genau darum geht es auch bei Führung, wenn es um eine Mitarbeiterbeurteilung geht.“ Schauen Sie mal genau hin – wem der abgebildeten Männer würden Sie eine Wohnung vermieten? Erraten Sie, wer von den Männern obdachlos ist oder wer Angestellter der Organisation?
(Wenn Sie übrigens tatsächlich eine Wohnung in Hamburg und Umgebung vermieten möchten – im Bodelschwingh-Haus Hamburg wird sie händeringend benötigt. Hier ist der komplette Beileger.)
Ein anderes Beispiel: Wenn Sie an einen Bäcker denken – welches Bild entsteht? Wohl eher das eines beleibteren, mehlbestäubten Mannes mit lustigem Käppi. Obwohl die Frauenquote unter Bäckern mittlerweile bei über 25 % liegt. (1)
Schuld an diesen Bildern von Obdachlosen, Frauen usw. sind Ihre bewussten und unbewussten Vorannahmen (Stereotype und Vorurteile).
Sie wissen, dass Sie sich die als Führungskraft nicht leisten können und sich Ihre Vorannahmen negativ auf Ihren Führungsstil und die Mitarbeiterbeurteilung auswirken. Aber: Sie können deren Entstehung nicht vermeiden – Vorurteile sind in der Funktionsweise Ihres Gehirns begründet und selbst ein hoher IQ schützt nicht davor.
Das glauben Sie nicht?
Lesen Sie sich einmal folgende Liste durch und kombinieren Sie ein paar Eigenschaften.
Alter | Herkunft | Sexuelle Orientierung | Ernährungsweise | Politische Einstellung |
jung | afrikanisch | heterosexuell | vegetarisch | konservativ |
alt | europäisch | homosexuell | vegan | linksradikal |
mittelalt | asiatisch | bisexuell | Fleisch essend | rechtsradikal |
Ich bin sicher, Sie haben zu allen möglichen Kombinationen Bilder von Personen im Kopf. Sie brauchen noch nicht mal Menschen zu kennen, auf die diese Beschreibungen zutreffen, um all diese Kategorien zusammenzufügen und einen konkreten Menschen vor Ihrem inneren Auge entstehen zu lassen.
Ganz klar: Wir urteilen zu schnell. Und ebenso schnell verurteilen wir jemanden zu Unrecht, indem wir ihn oder sie aufgrund unserer Vorannahmen nicht als Individuum wahrnehmen, sondern als Vertreter einer stereotypen Gruppe.
Immer wieder finden Wissenschaftler Zusammenhänge zwischen der Körpergröße und dem beruflichen Erfolg (2). Um Vorstand zu werden, sollten Sie etwas größer sein, als der Durchschnitt (aber auch wieder nicht zu groß, damit Sie beim Gegenüber keine Angst auslösen).
Dabei gehen Unternehmensleitungen sicher nicht zu Ihren Personalern und sagen: „Wir brauchen einen neuen Vorstand – bitte schauen sie mal nach jemandem, der größer als 1,90 m ist.“
Und ausgemachte Rassisten werden Sie sicher auch nur schwerlich in den Personalabteilungen deutscher Unternehmer finden. Trotzdem belegen Studien, dass muslimische Bewerber – oder solche, die man aufgrund ihres Namens dafür halten könnte – in Bewerbungsverfahren benachteiligt werden.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich auch Personaler ihrer Vorannahmen nicht bewusst sind und deshalb die eigene Gruppe bevorzugen.
Viele Unternehmen reagierten auf diese Form der Diskriminierung, indem sie ihre Personalabteilungen über diese Zusammenhänge aufklären und Bewerbungen anonymisieren.
Ein gutes Beispiel ist die Firma Google: Dieses gelungene 4-minütige Informations-Video ist Teil des Trainingsprogramms Unconscious Bias@Work, bei dem bereits mehr als 26.000 MitarbeiterInnen des Internetkonzerns Google Inc. teilgenommen haben.
Das schauen wir uns mal genauer an – was sind diese Vorannahmen überhaupt?
Vorannahmen wie Stereotype und Vorurteile sind Denkfehler und Wahrnehmungsverzerrungen (im Englischen „Bias“).
Stereotype sind mentale Vereinfachungen von komplexen Eigenschaften oder Verhaltensweisen von Personengruppen, wie z.B. Frauen, Männer, Ältere, Ausländer, Lesben oder Schwule, Behinderte, Dicke usw. Sie beruhen auf Erfahrung und Wahrnehmung.
Stereotypen sind emotionslose, neutrale Erwartungen und Vorstellungen, wie sich Mitglieder von Gruppen verhalten, wie sie aussehen und sich kleiden oder welche Fähigkeiten sie haben – z.B. Alte sind weise, Dicke sind faul oder Schwule interessieren sich nicht für Fußball.
Sie können in positive oder in eine negative Richtung zeigen – Sie können Personen positiver bewerten, als sie wirklich sind oder schlechter.
Vorurteile sind im Vergleich zu Stereotypen mit Gefühlen behaftet. Sie sind persönliche negative und positive Bewertungen gegenüber bestimmten Gruppen. Das Vorurteil beruht auf einer wenig reflektierten Meinung.
Beispiel: „Frauen sind emotional.“ (Stereotyp) und „Frauen sind keine guten Führungskräfte, die können einfach nicht hart durchgreifen wie Männer!“(Vorurteil).
Ihre Vorannahmen können zudem bewusst oder unbewusst (= im Englischen „Unconscious Bias“) sein.
Die bewussten Vorannahmen können Sie einfach kontrollieren, indem Sie noch einmal genau drüber nachdenken und sich so auf die Spur kommen.
Schwieriger ist es mit den unbewussten Vorannahmen umzugehen. Diese können Ihren Kontrollmechanismus des bewussten Denkens umgehen und zu unbewussten Diskriminierungen führen.
Was sind unbewusste Vorannahmen und wie entstehen sie?
Unbewusste Vorannahmen sind so etwas wie Filter – systematische Beurteilungsfehler, die Ihr Gehirn macht, um Ihnen das Leben zu erleichtern. Eigentlich sind sie eine tolle Dienstleistung Ihres Gehirns.
Das ist auf Effizienz getrimmt und möchte Ihnen die Komplexität des Alltags reduzieren. Sie sind meistens mehr Informationen ausgesetzt, als Ihr Gehirn verarbeiten kann. Ohne diesen Mechanismus wären sie handlungsunfähig, weil Sie sich vor lauter Optionen nicht entscheiden könnten.
Wie können Sie sich auf eine Diskussion oder Ihre Aufgabe konzentrieren, wenn es in Besprechungen oder in Ihrem E-Mail-Postfach hoch her geht? Das schafft Ihr Gehirn, indem es irrelevante Informationen herausfiltert.
Aufgrund dieser Filtereigenschaften nehmen Sie Menschen und Situationen nicht vollständig wahr, sondern erkennen nur Bruchstücke der Wirklichkeit. Sie sehen, hören oder interpretieren nur bestimmte Informationen.
Dabei entstehen Gedankenmuster.
Einmal gelernt, wendet Ihr Gehirn diese immer wieder auf neue Situationen und Menschen an, damit Sie die Lage schnell einschätzen und spontan reagieren können.
Diese Muster werden zu unbewussten Vorannahmen („Erfolgreiche Führungskräfte sind männlich und weiß“). Sie fühlen sich einfach „richtig“ an.
Beispiel: Aufgrund von unbewussten Vorannahmen, werden Sie attraktiven Personen eher glauben als unattraktiven. (Ungerecht – ich weiß…). Dabei bezieht sich Attraktivität auf die Körperform, Körpergröße, die Ethnie (Nationalität und Hautfarbe), Geschlecht und Stimmlage.
Sicher kennen Sie Situationen, in denen Sie selbst Opfer dieser systematischen Urteilsverzerrungen wurden.
Aber: Wir sind alle gleichzeitig Täter.
Warum Sie sich auf Ihre Menschenkenntnis nicht verlassen sollten
Sind Sie stolz auf Ihre Menschenkenntnis und glauben, dass Sie mit ihrer Hilfe zu einer korrekten Mitarbeiterbeurteilung kommen?
Oft liegen Sie damit richtig. Manchmal aber auch nicht.
Wenn wir den Charakter von Menschen beurteilen, merken wir meist gar nicht, wie unzuverlässig unsere Einschätzungen sind. Und häufig können wir sie deswegen nicht revidieren.
Ob im Bewerbungsgespräch oder im Kollegenkreis – umgangssprachlich hat sich der Begriff des Nasenfaktors herausgebildet. Er beschreibt nichts anderes als ein Vorurteil – die unergründbare Abneigung oder Zuneigung für eine andere Person.
Ihr Gehirn erinnert Sie häufiger an Situationen, in denen Sie eine zutreffende Mitarbeiterbeurteilung erstellt haben, als an die Situationen, in denen Sie falsch lagen. Das tut es, um Ihren Selbstwert aufrecht zu erhalten.
Gebildeten Menschen fällt es übrigens besonders schwer, unbewusst getroffene Fehlentscheidungen zu erkennen: Sie finden bessere „Erklärungen“ für deren Richtigkeit.
Warum Sie sich in der Mitarbeiterbeurteilung keine unbewussten Vorannahmen leisten können
Im Freizeitbereich können Sie sich Vorurteile erlauben – es ist nicht dramatisch, wenn Sie eine Person im Café falsch beurteilen.
Ihren Mitarbeitern wollen Sie aber vorurteilsfrei beurteilen – deren Lebensweg hängt unter Umständen von Ihren Entscheidungen ab.
Ihre Vorannahmen behindern Ihre Mitarbeiterbeurteilung vor allem in folgenden Situationen:
- In Mitarbeitergesprächen,
- alltäglicher Leistungseinschätzung von Mitarbeitern,
- Einstellungsentscheidungen,
- wie Sie Weiterbildungsangebote im Team verteilen,
- welche Ideen und Vorschläge von Mitarbeitern Sie beachten,
- welche Mitarbeiter Sie für Beförderungen vorschlagen und
- welche Sie für Projektgruppen auswählen,
- um wen Sie sich im Arbeitsalltag kümmern (oder nicht)
Gefährlich ist: Sie treffen Ihre Entscheidungen im Großen und Ganzen so, dass Sie Ihre Vorurteile bestätigen.
Nehmen Sie an, Sie hätten die unbewusste Vorannahme, dass „ältere Mitarbeiter weniger leistungsfähig seien“ (ein Gedanke, der mir bei Führungskräfte, besonders den jungen, immer wieder begegnet…).
Wie würden Sie eine ältere Mitarbeiterin behandeln, die Sie führen? Wie würden Sie sich verhalten? Wie wahrscheinlich wäre es, dass Sie sie enger führen, und häufiger kontrollieren. Würden Sie mehr oder weniger in ihre Ausbildung investieren? Würden Sie sie mit verantwortungsvollen Aufgaben betrauen oder eher nicht? Und wenn sie einen Fehler macht, wie wahrscheinlich wäre es, dass Sie ihren Erklärungen glauben?
Noch viel schädlicher als unsere Vorurteile anderen gegenüber ist laut Banaji und Greenwald (3) jedoch die Identifikation mit dem, was andere von einem denken. „Wenn sich Mitglieder einer Gruppe, die von stereotypen Beurteilungen betroffen sind, diese zu eigen machen, können sie damit leicht ihre Selbstachtung unterminieren“, schreiben die Autoren.
Wie würde sich die ältere Mitarbeiterin aus unserem Beispiel verhalten? Sie wäre wahrscheinlich schnell frustriert oder wütend ob des Verhaltens ihres Vorgesetzten. Sie würde ihre Motivation verlieren. Kurz: Sie würde sich so verhalten, dass sie „weniger leistungsfähig“ erscheint.
Und schon hätten Sie als Vorgesetzter Ihre Annahme bestätigt.
Tipps, wie Sie solche Fehler in der Mitarbeiterbeurteilung vermeiden
- Akzeptieren Sie, dass Sie diesen Mechanismen in der Mitarbeiterbeurteilung unterliegen. Unbewusste Vorurteile können Sie nicht vollständig verhindern.
- Machen Sie sich diese Fehlerquellen immer wieder bewusst. Sie können lernen, die sozialisierten Vorurteile zu erkennen und blinde Flecken auszufüllen. Das schaffen Sie, indem Sie Ihre Wahrnehmungen und Entscheidungen besser reflektieren und kritisch zu hinterfragen, um zu einer objektiveren Mitarbeiterbeurteilung zu kommen.
- Hinterfragen Sie Ihre eigenen Zuschreibungen und Urteile. Seien Sie ihnen gegenüber kritisch. Es könnte ganz anders sein.
- Holen Sie sich von vertrauten Kollegen und Freunden eine Einschätzung zu Ihren persönlichen Vorlieben und Mustern.
- Ihre Mitarbeiterbeurteilung entsteht in 3 Schritten: Beobachtung, Interpretation und Bewertung. Diese Schritte sind so stark miteinander verknüpft, dass Sie Ihnen gleichzeitig, als Einheit, erscheinen, obwohl sie voneinander unabhängig sind.
Das können Sie üben: Gehen Sie in der Mittagspausen entspannt einen Kaffee trinken, und machen Sie sich die einzelnen Prozess-Schritte bewusst:
a) Beobachtung: Was sehe ich? Was lese oder höre ich? (z.B. Ein Mitarbeiter steht während der Arbeitszeit am Kaffeeautomat)
b) Interpretation: Was denke ich? Wie ordne ich zu? (z.B. Der macht blau.)
c) Bewertung: Was empfinde ich? Welches Gefühl löst die Situation bei mir aus? Wie beurteile und entscheide ich? (z.B. Der Mitarbeiter ist unverschämt. / Der nimmt mich als Führungskraft nicht ernst. / Mit dem muss ich mal ein ernstes Wörtchen reden / usw.) - Sie brauchen Zeit, damit Sie sich diesen Prozess bewusst machen können. Zeitdruck, Ärger, Multitasking erschweren die bewusste Kontrolle von unbewussten Vorannahmen.
- Seien Sie besonders aufmerksam in Situationen, in denen Sie nur unvollständige Informationen haben oder gedrängt werden, eine Entscheidung zu treffen.
- Bereiten Sie Mitarbeitergespräche auf der Basis Ihrer anzustrebenden Ziele und vorliegender Fakten detailliert vor.
- Setzen Sie sich mit Beispielen auseinander, die Ihrem Stereotypen entgegenlaufen.
- Suchen Sie den gezielten Kontakt mit der Gruppe, die Ihnen Schwierigkeiten bereitet. Ihre Stereotype und Vorurteile lassen sich so nicht lange aufrecht erhalten. Eine wunderbare Möglichkeit für Führungskräfte bietet die Firma Seitenwechsel. Warum nicht mal hier eine Weiterbildung buchen und ganz nebenher mit seinen Vorannahmen aufräumen?
Tipps für Ihre Personalauswahl:
- Gestalten Sie einen Interviewleitfaden mit Fragen, die Sie jedem Bewerber gleich stellen.
- Gestalten Sie das Auswahlverfahren so, dass jede zu interviewende Person von zwei Interviewern befragt wird. Am besten unabhängig von einander.
- Trennen Sie Beobachtungen von Ihrer Beurteilung. Belegen Sie alle Ihre Einstufungen mit „verhaltensnahen“ Beobachtungen aus den Gesprächen.
- Bewerten Sie die im Gespräch erhaltenen Informationen erst nach Abschluss, wenn Sie genügend Fakten gesammelt haben. Tauschen Sie keine Beobachtungen oder Eindrücke mit dem anderen Interviewer aus, bevor Sie nicht beide eine definitive Beurteilung abgegeben haben.
- Stellen Sie nicht nur Fragen, die zur Bestätigung Ihrer Vermutungen führen, sondern vor allem solche, die zu deren Widerlegung geeignet sind.
- Überprüfen Sie die Einschätzungen aller Bewerber erst nachdem Sie alle Bewerber interviewt haben.
Fazit
Unbewusste Vorannahmen sind unvermeidlich. Jeder hat sie. Auch Sie. Seien Sie als Führungskraft Ihren Urteilen gegenüber besonders kritisch. Es kann immer auch anders sein. So kommen Sie zu einer objektiveren Mitarbeiterbeurteilung.
Mein Ziel war es, Sie mit diesem Artikel für das Thema zu sensibilisieren und Ihnen ein paar umsetzbare Tipps für den Umgang mit Ihren Vorannahmen an die Hand zu gegeben, damit Sie Ihren Mitarbeitern unvoreingenommener gegenübertreten und Ihrer Führungsrolle noch gerechter werden.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen und zum Nachdenken angeregt hat, teilen Sie Ihre Gedanken in den Kommentaren. Ich freue mich drauf.
(1) http://www.einstieg.com/ausbildung/ausbildung-news/news/mehr-frauen-in-maennerberufen.html
(2) z.B. Judge, Timothy A., and Cable, Daniel M., “The E ect of Physical Height on Workplace Success and Income,” Journal of Applied Psychology, June 2004, p. 435